Björn Tag 4

Moin ihr Hanse Gravel Piloten,

 

ich hoffe, der Bericht des 4.Tages kommt zu euch durch. Die Netzabdeckung ist nicht immer 1a.

 

Liebe Grüße, 

Björn 

 

 

Tag 4

 

Um kurz vor Sieben wird aufgesattelt. Drei Tageskilometer auf dem Tacho und ich stelle fest, die Wasservorräte sind aufgebraucht. Dabei hätte ich die auf dem Hof, der mir eine Schlafstelle zwischen Dung und schwerem landwirtschaftlichen Gerät gewährt hat, leicht füllen können. Es gab eine Milchtankstelle samt Waschbecken. Zu spät 😖. 

Schon kurz darauf findet sich aber eine der beliebten Friedhofs-Wasserentnahmestellen. 

 

Gestern hat mich meine Frau noch gefragt, wann ich denn zuletzt geduscht habe. Ich bin mir jedoch sicher, dass nach einer Nacht unter Kühen es eine Dusche nicht mehr raus reißt. Davon abgesehen: ich rieche mich nicht. So schlimm kann es nicht sein.

 

Nach wenigen Metern offenbart der Track wieder seine ganze Schönheit. Verschlungene Pfade und ab in den Wald. Licht bricht durch das Blätterdach. Der Duft frisch geschlagenen Holzes. Das gedämpfte Abrollgeräusch der Reifen auf dem Waldboden. Und Rehe. Ich sehe sie, sie sehen mich. Und schon sind sie wieder weg. Stille. Na ja, beinahe. Mein Atem geht schwer, die Pedale quietschen und die Kette schreit nach Öl. Davon ab, einfach wunderschön. 

 

Kurz vor Ende des 3. Teilabschnitts des Hanse Gravel findet sich ein kleiner Supermarkt mit angeschlossenem Imbiss. Gelobt sei der allgemeine Werktag! Denn es ist offen. "Essen wie bei Muttern" verheißt das Schild des Imbisse "Arndt". Es gibt Rührei mit Brötchen für 2,50 € und einen Kaffee für 1 €. Das ganze in einem maximal schmucklosem Ambiente. Eine nach Holzvertäfelung aussehende Tapete und an der Wand der Liqui Moly Kalender, der es gekonnt schafft, eine Verbindung zwischen Sportwagen und leicht bekleideten und lasziv dreinschauenden Frauen herzustellen. Warum assoziiere ich mit ihren Blicken bloß die Kühe, die mich gestern Abend aus dem Stall angeschaut haben?  Keine Ahnung. Aber ich mag Kühe.

 

Übrigens schmeckt es mir nicht wie bei Muttern, sondern sogar besser. Das betrifft sowohl das Rührei als auch den Kaffee. Liebe Mama, falls du mitliest, bitte entschuldige. Aber was wahr ist, soll wahr bleiben.

 

Auch der kleine Laden nebenan ist ein wahres Kleinod. Ein auf das wesentliche beschränkte Sortiment, angeschriebene Preise und Warenwelten, wie sie heute nur selten vorzufinden sind. Da steht der Honig "Flotte Biene" direkt neben dem Kräuterschnaps "Jagdglück". Der Mann an der Kasse fragt, wo ich denn“ herkomme und noch in will?“ 

"Ich fahre den Hanseatenweg. Kennen Sie den?“

" Nee... bei uns heißt das anders." 🤣

 

Wieder durch ein schönes Stück Wald geht es bis nach Wolgast, der nun siebten Hansestadt auf dem Trail. Zeit für ein zweites Frühstück auf dem Marktplatz in der Sonne. Auf dem Gang zur Toilette, lese ich an der Wand: "In unseren Backstuben werden Nacht für Nacht 500 Tassen Kaffee getrunken". Respekt! 

 

Einen Tisch weiter sitzt eine Mutter mit ihrer schon lange erwachsenen Tochter. Die beiden sprechen miteinander bzw brüllen sich an. Nicht wirklich unfreundlich. Scheint nur ihre Art der Kommunikation zu sein. Die Mutter sagt: "Für dich ist die Pflegeeinrichtung das Beste." Die Tochter grummelt irgendetwas.  Ich frage mich, ob die Pflegeeinrichtung nicht auch etwas für die Mutter wäre, so wie sie sich gebärdet 🤭. Dann geht es minutenlang hin und her. Irgendein Bekannter, der sich morgen melden möchte. Der Mutter passt das nicht. 

"Na, da wird er schon sehen. Bin halt nicht da."

"Er meldet sich aber."

"Na und? Mir doch egal.“ 

Das geht beinahe so endlos weiter wie meine täglichen Berichte. Auf der Weiterfahrt nach Usedom frage ich mich, ob meine unschönen Gedanken die beiden betreffend, dem Gedanken des Hanseatenweges und der europäischen Völkerverständigung ausreichend Rechnung tragen... 🤔

 

Ich grüble... Und auf einmal höre ich das Rauschen des Meeres. Ich kann nicht anders, ich muss einen Blick auf das Wasser werfen und einen Moment am weißen Sandstrand genießen.

 

Der Fahrradweg auf Usedom ist ein Traum. Es geht in einem mehr oder weniger sanften (bis 16 % Steigung) Auf und Ab parallel zur Küste durch den Wald. Eine tolle Strecke, nicht ganz ohne Verkehr, aber heute gut fahrbar. Natürlich sind auch etliche E-Biker dabei. Schon von weitem sind sie gut an ihrer auf dem Rad thronenden Haltung zu erkennen. Mit breitem Lenker, aufrecht sitzend, stets ein Helmchen auf und einer Lage Kleidung mehr auf dem Leib, ziehen sie langsam pedalierend, trotz Wind und Steigung, an mir vorbei. Es sei ihnen gegönnt. 

 

Dafür, dass ich mich heute morgen doch sehr lädiert gefühlt habe, macht das Radeln sehr viel Spaß. Abgesehen von leichte Schmerzen im rechten Knie, überall Verspannungen, tauben Finger und der ein oder anderen wunden Stelle. Aber ich will nicht jammern. Ist ja selbst gewähltes Leid. Meine ohnehin schon sehr geringe Durchschnittsgeschwindigkeit sinkt allerdings weiter von Tag zu Tag. 

 

In Petersdorf führt der Radweg wieder mit Blick aufs Wasser durch schon etwas größere Menschenansammlungen. An einigen Abschnitten wird aufgefordert, abzusteigen. Langsam und mit viel Obacht wähle ich meinen Weg, ohne jemanden auch nur zu behindern. Eine Dame ruft aus einigen Metern Abstand: "Absteigen!" Das Land ist schön, aber die Mentalität muss man schon mögen. 

 

Es gibt noch mal ordentlich Wind und auch Sand von vorn. Ohne Radfahrer Brille nicht übermäßig angenehm. 

 

Auf dem Weg nach Zirchow befindet sich eine eingezäunten Golfanlage. Bevor es dahinter in den Wald geht, muss ein Tor geöffnet werden. Darauf steht in drei Sprachen: "Tor immer geschlossen halten". Die Golfer wollen wohl nicht, dass die Waldhasen sich auf ihrem so schön gepflegten Rasen erleichtern. 

 

Im nächsten Dorf warnt ein Schild an einem Zaun: "Wir holen nicht die Polizei." Hübsch verziert mit dem Symbol einer Pistole und eines Baseball Schlägers. Oder ist das ein Golfschläger? 

 

Hinter Zirchow wird es nochmal flowig. Der Weg als solcher ist nicht immer sofort zu erkennen, besteht er auch schon mal nur aus einer Fahrrille auf der Wiese. Man holpert über steinige Pisten und ein andermal lässt es sich auf dem Sand wie auf Wellen surfen. Abschnitte, die ich vor 1-2 Jahren als nicht fahrbar eingestuft hätte, machen jetzt richtig Laune. Auch wenn mein Hintern anderer Meinung zu sein scheint.

 

Ich komme an einem DDR Museum vorbei. Scheint in privater Hand zu sein. Hätte wohl Lust, da einen Blick rein zu wagen...

 

Der Himmel zieht zu und es droht zu stürmen. Durch das diffusere Licht grünt es im Wald irgendwie noch grüner 😍

 

In Usedom verproviante ich mich. Für mich wird es heute nur noch bis zum Campingplatz in Karnin gehen. Das letzte Stück ist landschaftlich ganz wunderbar, ringt mir dann aber auch die letzten Reserven ab.

 

Auf dem Platz stelle ich fest, es gibt gar keinen Campingplatz. Nur 3 zu Stellplätzen umfunktionierte Parkplätze, ein wenig Wiese und ein verschlossenes Sanitärhaus. Ich quatsche die Insassen des einzigen Wohnmobils an und eröffne, dass ich mein Zelt hinten auf der Wiese aufbaue. Nur das sie sich nicht erschrecken. Sollten sie Hilfe brauchen - keine Sorge, ich bin mit einem Schweizer Taschenmesser bewaffnet. Wir rufen auch nicht die Polizei. Sichtlich erleichtert verrät mir der Wohnmobilist den Pin für Dusche und Toiletten. Es ist die 1111. Nur falls ihr mal in der Nähe seid. 

 

Ich dusche, versorge meine Wunden und esse zu Abend auf den zum geschlossenen Imbiss gehörenden Bänken mit Blick aufs Wasser. Wenn es jetzt noch Internet gäbe... es wäre kaum auszuhalten.

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Kommentare: 5
  • #1

    Andreas (Mittwoch, 24 April 2019 10:18)

    Sehr amüsante Berichterstattung. Halte durch, bald ist es geschafft!

  • #2

    Björn (Mittwoch, 24 April 2019 10:59)

    Bin jedes Mal erstaunt, wenn ich feststelle, dass meine Texte tatsächlich gelesen werden. Ich versuche mich zwar kurz zu fassen, doch meist gehen die Pferde mit mir durch und die Berichte werden doch länger. Bis heute abend könnte ich es tatsächlich geschafft haben. Die Freude steigt.

    Liebe Grüße,
    Björn

  • #3

    Markus (Mittwoch, 24 April 2019 11:12)

    Deine Beschreibung der Bodenbeschaffenheit lassen mich an meinem Plan der gut 200 km/Tag vorsieht etwas zweifeln. Aber wie ich schon mal an anderer Stelle schrieb: Je planmäßiger die Menschen vorgehen,
    desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.
    Danke, dass Du die Vorhut bildest und uns einstimmst auf das was uns erwartet!
    Viele Grüße,
    Markus

  • #4

    Alex (Mittwoch, 24 April 2019 15:02)

    Danke für deine schönen Berichte, auch bei mir steigert es dir Vorfreude.

  • #5

    Björn (Mittwoch, 24 April 2019 23:17)

    Sehr gerne. Wünsche euch für morgen alles Gute!