Björn Tag 3

Moin,


Bericht anbei... 


Tag 3


Dann fange ich mal damit an, wie weit ich gestern Nacht noch gekommen bin. Nämlich nicht sehr weit. Nur ein paar Kilometer aus Rostock raus, schon gleich hinter Häschendorf, entschließe ich, die Nacht auf dem Felde zu verbringen. Wie meine Frau später am Telefon mitteilt, wäre in Häschendorf ein Campingplatz gewesen. In der Dunkelheit muss ich das Campingplatz Symbol übersehen haben. Außerdem ist es nun Mitternacht und ich will die anderen Camper nicht durch das lärmende Aufbauen meines Zeltes wecken. Und überhaupt: für die paar Stunden möglicherweise so viel wie auf dem ersten Platz bezahlen? 14 €? Ohne mich.


Auf einer wirklich vereinsamten Landstraße biege ich aufs Feld ein und suche mir eine halbwegs ebene Stelle, auf welcher ich meine Isomatte ausbreite. Zum Zeltaufbau fehlt mir Kraft und Lust. Nächste Woche werde ich 43. Und heute verbringe ich tatsächlich die erste Nacht meines Lebens unter freiem Himmel. Wurde aber auch mal Zeit. 


Es ist absolut still und ich schaue mir einige Minuten die Sterne am Firmament an. Ein Gefühl von grenzenloser Freiheit kommt auf. Ich bin dankbar. Aber gleichzeitig wohl wissend, dass meine Frau das Morgen nicht so entspannt sehen wird wie ich. 


Um sechs Uhr in der Früh werde ich wach. Mir ist richtig kalt. Der Schlafsack ist nass, es hat sich sogar Raureif darauf gebildet. Der Blick auf mein Tacho verrät, dass es  - 1.7 Grad kalt ist. Für diese Temperaturen ist mein Schlafsack eigentlich nicht ausgelegt. Da ich aber in voller Montur samt Jacke, Hose, Handschuhe, Mütze und Halstuch geschlafen habe, bin ich nicht erfroren und habe die erste Nacht in Teilzeit Obdachlosigkeit gut hinter mich gebracht. 


Meine Frau sieht im WhatsApp Status, unter welch desolaten Verhältnissen ich gezwungen war zu nächtigen. Sofort ruft sie mich an. Das wäre doch wohl verantwortungslos und überhaupt viel zu gefährlich. Eigentlich müsste ich jetzt den gestern gehörten Satz bringen "Ich bin das Haupt" und hinten angehängt ein bestimmtes "So!", doch ich traue mich nicht. Ich will sie nicht weiter verärgern, bin ich doch sehr froh, dass sie mich überhaupt von der Leine gelassen hat. Ich versuche mehr oder weniger erfolglos, sie ein wenig zu beruhigen. 

"Jesus und seine Jünger haben damals doch auch unter freiem Himmel genächtigt". 

"Ja, aber da war es noch nicht so gefährlich." "

" Na, das wage ich aber zu bezweifeln." 

"Und die haben doch Schwerter gegen wilde Tiere gehabt." 

"Ich habe doch auch ein kleines Schweizer Taschenmesser, mit welchem ich mich den Angriffen der gemeinen Feldmaus erwehren kann." 🤪


Wie auch immer. Mir ist jedenfalls nicht entgangen, dass die beste Ehefrau von allen es wohl lieber hätte, wenn ich heute Nacht einen Campingplatz an steuere.


In Richtung Ribnitz-Damgarten radele ich mich warm und komme bei strahlendem Sonnenschein am Wasser an. Zeit für einen Kaffee und Frühstück. Wie praktisch, dass hier eine öffentliche Toilette ist, in welcher ich die Wasservorräte auffüllen und das Geschirr später reinigen kann. Und Strom ist auch vorhanden. Trotz dessen, dass der Kaffee eine leicht röstige Note hat, weil mir das Gulasch gestern Abend etwas angebrannt ist, schmeckt er hervorragend. Bin erstaunt, dass ich es noch nicht einmal schaffe, eine Dose Gulasch fehlerfrei zu erwärmen.


Nach Hamburg, Lübeck und Rostock ist die Hansestadt Stralsund das nächst größere Ziel. Ich gravel mich auf abwechslungsreichen Pfaden durch diverse kleine Dörfer. Macht Laune. 


Ich stelle fest, dass für Fahrradfahrer  Friedhöfe eine ganz neue Bedeutung bekommen. Hier liegen zwar die Toten, doch spenden diese oft hübsch angelegten Orte auch regelrecht Leben. Sind sie doch immer eine willkommene Gelegenheit, die Trinkflaschen aufzufüllen.


In Velgast steht an einer Lärmschutzwand "Make Velgast great again". Das kleine Dörfchen wird dieses Jahr 777 Jahre. Vielleicht knüpft es ja zukünftig wieder an die sicher großartige Vergangenheit an.


In Bussin stehen rechts des Weges mehrere Bienenstöcke. Davor der warnende Hinweis, doch vorsichtig zu sein. Letztes Jahr auf Korsika wurde nicht vor den Bienen gewarnt. Wäre dort von verantwortungsbewussten Menschen auch ein solches Schild aufgestellt worden, so hätte ich mir zwei bis drei Bienenstiche erspart. 


Was mir heute wirklich fehlt sind Einkaufsmöglichkeiten. Aufgrund des Ostermontages haben nicht einmal die wenigen Läden, die an der Strecke liegen, auf. Meine Vorräte erschöpfen sich zusehends. Ich muss über Essen in sämtlichen Variationen nachdenken... Da erblicke ich den Hoyer Tank-Treff in Martensdorf. Und auch noch offen! Was für ein Geschenk! Es gibt lecker Bockwurst, Kaffee und Schokolade. Schließlich will ich mich gesund und abwechslungsreich ernähren. Bevor ich allerdings den Laden betreten habe, war ich zum Glück noch so geistesgegenwärtig, meine zu eng sitzende Windweste zu öffnen. Schon peinlich genug, damit herumzufahren.


Ich erreiche die Hansestadt Stralsund und Rolle einfach hindurch weiter straight ahead Greifswald. Es folgt eine nicht enden wollende Gerade. Der Wind von vorn, die Straße zwar schön anzuschauen, aber wegen des kleinteiligen Kopfsteinflasters  nur leidlich zu befahren. Mit lächerlichen 10 bis 12 km/h stampfen ich müde und lustlos gegen den Wind an. Ich frage mich das erste Mal, warum ich diese Tortur auf mich nehme. Und ob es tatsächlich Leute gibt, die hier entlang wandern. So öde. Und der Verkehr rauscht dazu munter auf der parallel verlaufenden Landstraße. Ich stöpsel die Kopfhörer ein und lege einen Podcast auf. Jetzt einfach weitermachen, sage ich mir.


Was bin ich froh, kurz vor Greifswald wieder auf vernünftigen Asphalt fahren zu können. Bei Erreichen Greifswalds, also der nächsten Hansestadt, klart das Gemüt wieder auf. Ich möchte auf den direkt an der Route liegenden Campingplatz nächtigen. Vorher geht es aber in die Klosterschenke, um zu speisen. Ein Google Rezensent bemerkt, dass Essen schmecke wie vor der Wende. Bei 2 vergebenen Sternen meint er das wohl nicht unbedingt positiv.


Mich erfreut bei Ankunft der nette Parkplatz für Drahtesel. So muss das. Der Laden ist urig und alles, selbst die Toilette, wirkt wie vor der Wende. Wobei ich das nur vermuten kann, bin ich doch das erste Mal erst vor einigen Jahren im Osten gewesen. 


"Bei uns gibt es immer ein Buch zu lesen. Guckt man nicht so auf die Uhr, bis das Essen kommt", spricht der Wirt Jochen und legt ein Buch über Greifswald aus 2006 auf den Tisch.


Ich entscheide mich für ein Schnitzel au-four - ein mit Würzfleisch überbackenes Schnitzel. Und als Abschluss die" DDR Quarkspeise". "Hab ich mir schon gedacht. Da kommt noch was", meint Jochen. Lecker. Einfache Hausmannskost mit lokalem Ambiente. 


Gut gesättigt, pedaliere ich zum Campingplatz und bin voller Vorfreude auf eine heiße Dusche. Und was muss ich sehen? Der Laden hat geschlossen. 


Der nächste Platz würde einen Umweg von heute 8 km bedeuten und morgen nochmal. Meine Frau meint, dass wäre für mich doch wohl kein Problem. Doch, ist es.


Auf dem Weg nach Kemnitz frage ich bei bereits einsetzender Dunkelheit einen Landwirt, ob ich bei ihm mein Zelt aufschlagen darf. Das wird bejaht. Ich bin zufrieden. Meine Frau ist zufrieden. Bis morgen...


LG, Björn

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Kommentare: 2
  • #1

    Fabian (Dienstag, 23 April 2019 07:44)

    Mit deinen morgendlichen Berichten macht die Anfahrt nach Hamburg gleich noch mehr Spaß. Zudem steigt die Vorfreude Ende der Woche da selber entlang zu radeln.

  • #2

    Björn (Dienstag, 23 April 2019 13:48)

    Cool. Das freut mich zu lesen. Wird für euch Teilnehmer bestimmt eine richtig tolle und runde Sache!
    Liebe Grüße
    Björn